Die Bundeskunsthalle zeigt eine Retrospektive von Hanne Darboven
Hanne Darboven gilt als eine der weltweit wichtigsten Konzeptkünstlerinnen – und als spröde und schwer verständlich. Denn ein Großteil ihres Werkes besteht aus Zahlenkolonnen. Was das mit Kunst zu tun hat?
Zeit ist unsichtbar. Sie kommt und geht. Klar, es gibt Bilder, Filme oder Dokumente, die Ereignisse und Entwicklungen festhalten. Aber was ist mit den vielen Stunden, Tagen, Monaten und Jahren, die dazwischen liegen? Wer hält die Dauer als solche fest? Hanne Darboven hat es versucht.
Die Zeit in Zahlen
Darboven, die 2009 im Alter von 67 Jahren starb, widmete ihr Leben ganz und gar der Aufgabe, Zeit darzustellen. Womit? Zahlenkolonnen: Darboven entwickelte abstrakte Aufschreibesysteme, die sich aus Kalenderdaten und deren Quersummen zusammensetzen. Sie schuf auf diese Art und Weise serielle Werke aus Zahlenreihen, die bestimmte Zeitabschnitte abbilden. Das ist zugegebenermaßen eine Kunst, die dem Betrachter ein hohes Maß abstrakten Denkens abverlangt. Das geht nur, wenn man auf Darbovens Denkweise einlässt. Am besten beginnt man mit dem Dokumentarfilm über die Künstlerin, der in der Ausstellung gezeigt wird. Danach wurde mir klar: Diese Frau hat ihr Leben und ihre Lebenszeit zu einem Gesamtkunstwerk gemacht.
Um fünf Uhr morgens im Anzug zur Arbeit
Und sie war ungeheuer diszipliniert. Darboven, die einer wohlhabenden Hamburger Kaufmannsfamilie entstammte, lebte abgeschieden in einem alten Backstein-Gutshaus am Rande Hamburgs. Streng sieht sie aus mit ihren stoppelkurzen Haaren, stets in Männeranzüge gekleidet und mit einer Zigarette in der Hand. Bereits um fünf Uhr morgens saß Darboven an ihrem mit Kuriositäten überhäuften Schreibtisch, (der auch in der Ausstellung zu sehen ist), und arbeitete.
Neun Meter hohe Wände
50 Werke zeigt die Bundeskunsthalle. Und die bestehen aus 11.800 Einzelexponaten. Allein zur Arbeit „Weltansichten 00-99“, die zwischen 1975 und 1980 entstand, gehören 5300 Einzelblätter. Jeder einzelne Tag ist durch eine Datumsrechnung dargestellt. Ergänzt werden die Zahlenkolonnen durch eine Postkartenserie aus dem 19. Jahrhundert, die berühmte Bauwerke, ikonische Landschaften und andere Sehenswürdigkeiten zeigt. Das Format der Arbeit ist gigantisch. Sie füllt zwei neun Meter hohe Wände.
Bismarck und Brandt
Neben dieser quantitativen Darstellung der Zeit bemühte sich Darboven aber auch, die Verbindung zwischen Epochen sichtbar zu machen. So etwa in der Arbeit „Bismarckzeit“ (1979). Darin verknüpft sie die Zeit des früheren Reichskanzlers Otto von Bismarck mit der Gegenwart ein Jahrhundert später. Das Werk verwebt literarische, biografische und politische Texte. Abschnitten einer Bismarck-Biografie stellt Darboven zum Beispiel einen Aufsatz des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt über Bismarcks „Anti-Sozialistengesetze“ gegenüber.
Die Ausstellung ist Dienstag und Mittwoch von 10 bis 21 Uhr und Donnerstag bis Sonntag 10 bis 19 Uhr geöffnet.
http://www.bundeskunsthalle.de
Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn